Ich stehe morgens auf, nicht weil die ersten Sonnenstrahlen mir in der Nase kitzeln, nicht weil der Hahn vom wenig entfernten Bio-Bauernhof kräht und auch nicht weil mich irgendjemand zärtlich weckt. Ich stehe auf, weil mein kluges Mobiltelefon nervige Geräusche von sich gibt und mir mein Pflichtbewusstsein zu verstehen gibt, es sei nun Zeit.
Noch vor dem ersten Schluck Kaffee oder Tee werden die ersten eingetrudelten Nachrichten gecheckt und der Instagram-Feed auf ein paar neue Likes und Abonnenten überprüft. Das Frühstück sieht nicht so appetitlich aus. Es muss ein Foto von gestern reichen. Mit wenigen Anschlägen innerhalb von Minuten mit der ganzen Welt geteilt.
Ich arbeite von zuhause aus, beantworte zunächst einen Stapel E-mails und beginne anschließend mit einer Internet-Recherche. Nach ein paar Stunden Schreibtischarbeit schaue ich bei Netflix vorbei um meine Work-Life-Balance in Harmonie zu bringen, so rede ich es mir ein. Ich wünschte die neue Staffel „Orange is the new black“ würde bald erscheinen.
Es ist mittlerweile Nachmittag, als ich das Haus verlasse, um einkaufen zu gehen. An der Kasse bedanke ich mich und merke erst beim Räuspern, dass ich zu diesem Zeitpunkt die ersten Wörter an diesem Tag, aus meinem Mund purzeln höre. „Ich bin einsam“ schießt es mir durch den Kopf.
Zuhause versuche ich einige Freunde zu erreichen. Sie sind nicht online, ich schicke ihnen lustige Bilder und ärgere mich, dass keine direkte Reaktion kommt. Ich könnte anrufen…aber wir telefonieren eigentlich nie.
Ich gehöre zu einer Generation, die sozial verkrüppelt ist. Wir machen nicht Urlaub im Ausland, wir machen Urlaub vom Internet und Handy. Länger als eine Woche lässt sich dieser Entspannungszustand jedoch nicht aufrechterhalten. Dann geht der nervöse Blick zum Schmelztiegel der multimedialen Kommunikation in eine Armbewegung über. Es fühlt sich auch irgendwie komisch an, nicht-online-sein. Wir gehen auch nicht mehr ins Kino, viel zu teuer, was wir wollen ist eine Flatrate. Jederzeit und jederorts brauchen wir Verfügbarkeit.
Junkfood-Kommunikation bestimmt unsere sozialen Kontakte und unseren Alltag, Wir müllen uns Tag ein, Tag aus gegenseitig mit kurzwelligen Anti-Informationen zu. Kein Raum für wahre Gefühle oder ernsthafte Probleme und eigentlich auch kein Interesse. Wir treffen uns nicht mehr persönlich, per Skype oder Whats App ist es doch viel einfacher. Viel sicherer. Keine Gefahr aus dem, so wunderbar wohnlich eingerichteten, Schutzmantel der eigenen Komfort-Zone gerissen zu werden. Und immer ein Hintertürchen zum Verstecken oder Rechtfertigen. „Haha, war nur Spaß, keine Sorge.“, „Komisch, deine Nachricht ist irgendwie nicht angekommen!“.
Ständige Verfügbarkeit lautet die Erwartungshaltung, eine Erwartung, die wir selbst erschaffen haben, die wir so satt haben, die ich so satt habe, aber dennoch nicht unterdrücken kann. „Die blöde Kuh ist nie da, wenn ich ihr schreibe.“, „Warum schreibt er jetzt nicht zurück?“, „Er hat doch gelesen, dass ich geschrieben habe“, „Er war online, das weiß ich!“, „Sie war schon seit heute Morgen nicht mehr online, ob etwas passiert ist?!“. Unser bester Freund und Helfer im täglichen Kampf um Anerkennung? Die Statusanzeige.
Wir sind Cyborgs. Amputiert der sozialen Fähigkeiten, ausgestattet mit medialen Greifarmen. Notwendige Werkzeuge, mit denen wir äußerlich beeindruckende Fassaden gebaut haben, hinter denen wir in Wahrheit ganzschön nackt aussehen und das wissen wir. Wir sind nicht fähig uns selbst zu lieben und wundern uns, warum unser Schwarm uns nicht lieben möchte.
Soziale Kompetenzen? Ähja, ich kann Facebook, Instagram und fließend Twitter!
Aber ich bin trotzdem glücklich.
Vicky says
Generation-Ich, aber es dreht sich trotzdem primär um andere und es fällt uns schwer mit dem Aufmerksamkeitsschwerpunkt bei uns zu bleiben.
Schön dich auf dem Blog auch von einer anderen Seite kennenzulernen 🙂 Bin gespannt auf weitere Sonntags-Posts!
Aristocat says
Lieber Rauschgiftengel,
schon seit längerer Zeit verfolge ich Deinen Blog. Beauty-Posts, Schrankeinrichtung und auch Outfits sind zwar grundsätzlich für mich interessant, aber sie dienen doch nur dem Konsum.
Mir gefällt der grundsätzliche neue Gedanke deiner Kolumne. Deshalb möchte ich mich nun äußern. Denn dieser Blogbeitrag regt wirklich nicht nur zum Konsum, sondern auch zum Nachdenken an. Ich freue mich auf weitere Beiträge dieser Art.
Mach weiter so!
Viele Grüße
von einem ehemaligen Natron und Soda Mitglied (Aristocat)
Rauschgiftengel says
Das freut mich sehr! 🙂
Ich hoffe dir werden auch meine weiteren Kolumne gefallen.
Falls nicht, gerne auch kommentieren! 🙂
Viele Grüße, Amelie
shalely says
Super geschrieben und einfach mal so wahr. Daumen hoch….
Ganz liebe Grüße
Rauschgiftengel says
Danke, Shalely! 🙂
Liebe Grüße, Amelie
Anna says
Die Sonntagskolumne ist super und bringt mich sogar mal zum Kommentieren 😉 Unser Vorteil (oder ist es der Nachteil?) ist vermutlich, dass wir die Vor-Cyborg-Zeit kennen, zu der man sich noch anrufen „musste“, draußen traf und sich nicht wann immer man wollte Nachrichten schicken konnte, sondern einen Brief schrieb, den man seiner Freundin dann am nächsten Tag in der Schule gab. Und das war „damals“ völlig ok.
Rauschgiftengel says
Hallo Anna,
Das freut mich sehr. 🙂 Und ich sehe das ganz genau so, wir haben wirklich Glück gehabt noch in dieser Zwischengeneration aufgewachsen zu sein. Da habe ich bei der heutigen Jugend, auch wenn es abgedroschen klingt, so meine Zweifel was die sozialen Kompetenzen und Kommunikationsfähigkeiten angeht. Was traurig ist! Aber vielleicht ist das ja auch eine retrophile Ansicht und in 10 Jahren denkt jeder so wie die neue Generation.
LG, Amelie